Nachbarn sind zum Ärgern da (D 1970)

Regie: Peter Weck
Buch: August Rieger
Produktion: KG Divina-Film, München
Premiere: 30. Dezember 1970

Zur Abwechslung mal eine deutsche Komödie, mit der weder Lisa Film noch Rialto Film etwas zu tun haben, selten genug. Die in München ansässige Divina-Film produzierte hier einen Film von Peter Weck (*1930), der in der Zeit eine kurze Karriere als Kino-Regisseur hatte. Im heutigen kollektiven Gedächtnis ist er wohl primär als Schauspieler in kultigen 80er-TV-Serien wie „Ich heirate eine Familie“ präsent. Aber auch war auch hinter den Kulissen recht fleißig, auch im Fernsehen führte er oft Regie. Bis 2015 war er noch oft auf der Mattscheibe zu sehen.

Dieser Film ist recht obskur. Er hat keine Rezension auf imdb. Allerdings ist er von der Verfügbarkeit gut – es gibt ihn seit 2015 auf DVD, mal wieder vom Label Filmjuwelen ausgegraben. Ob wir hier wirklich ein „Filmjuwel“ haben? Wir werden sehen.

Wie deutsch darf es sein? – Ja!

Zur Abwechslung geht es hier mal nicht um Lausbuben-Schüler noch um Schulmädchen im Hormonkoller wie so oft in der Zeit um 1970, sondern das urdeutsche Thema Nachbarschaftsstreit. Schon das erste Bild des Films ist so spießig-deutsch, dass es schon lustig ist. In dieser jägerbezaunten Reihenhaus-Hölle in der Spießergasse leben also 4 Familien, um deren Konflikte es in diesem heiter gemeinten Streifen geht.

Otto Sauser (Georg Thomalla) gießt in seinem perfekt gepflegten Garten im Anzug mit Krawatte (!) entspannt seine Geranien, doch, potzblitz, vor dem Haus gibt es einen Unfall, ein Mercedes und ein Käfer, ein Herr im Anzug mit Hut steigt aus und schaut fassungslos auf die Scherben.

Bundesrepublik Deutschland 1970, in einer Minute perfekt illustriert.

Die Verunfallten entpuppen sich als neue Nachbarn. Unser Gärtner von eben hat diese Reihenhausanlage gebaut und vermietet sie nun an drei weitere Parteien. Die Familien Stenhoff, Springbock und Hirnbiss ziehen ein und das Chaos beginnt.

Frau Stenhoff (Angela Cenéry) bringt drei Menschen mit, die Kinder Stefan und Bübchen sowie den Sonnyboy Jürgen (Fritz Wepper). Die Familie bezieht Hausnummer 1, Amtsrat Springbock (Eddi Arent) mit Frau wohnt in Nummer 2. Familie Hirnbiss, er ist Fleischerei-Innungsmeister (Hans Korte), hängt seinen Hut in Nummer 4 auf, zusammen mit der Teenie-Tochter Sieglinde-Dorothee (ja, im Ernst). Otto Sauser, gärtnernder Junggeselle, lebt in Nummer 3.

Schnell entsteht ein klamaukiger, überdrehter Nachbarschaftskrieg bis hin zur finalen Eskalation. Wer hat das Radio zu laut? Wer mäht in der Mittagsruhe den Rasen? Oder haut ohne Genehmigung mit fünf Durchschlägen einen Nagel in die Wand? Oder hält gar Tiere in der Wohnung? Und der Jürgen, der wechselt seine Damen wie seine Hemden! Ja, gehört sich denn das? Im dritten Akt wird sich anständig deutsch gegenseitig verklagt, bis der der Jägerzaun glüht.

Parallel gibt es natürlich ein paar Lovestorys. Ein Installateur mit dem Namen Hans Wurst (im Ernst, Wolfgang Jansen) erscheint, hier entsteht eine Romanze mit der feschen Göre Sieglinde-Dorothee Hirnbiss (Elke Aberle), und wo Uschi Glas und Fritz Wepper auftauchen, dürfte er Rest wohl klar sein.

„Ach Gott, mit solchen Nachbarn muss man hausen!“

So ganz ohne harmlose Schlüpfrigkeiten geht es dann doch nicht, exemplarisch sei die Szene genannt, als einer der Knirpse den Spülkasten demoliert und so aus Versehen ein Loch in die Wand haut und mal bei Frau Nachbarin Hallo sagt, die gerade unter der Dusche steht, nur durch eine groteske Menge Schaum bekleidet. So rennt sie dann hysterisch durchs Haus, ihr Mann: „Du kannst doch hier nicht rumlaufen wie der weiße Riese!“ Was für ein Gag. (Der „Weiße Riese“ ist eine Waschmittelmarke, wer es nicht weiß. Also eigentlich Schleichwerbung.)

Immer wieder gibt es bizarre Szenen. Bei Minute 51 sehen wir Famlie Fleischerei-Innungsmeister Hirnbiss beim festlichen Mahl auf der Terrasse. Es gibt natürlich deftigste Fleisch- und Wurstwaren und Bier. Töchterchen ist nur mäßig begeistert und nascht nur am Radieschen (= Deko). Folgender Dialog folgt:

Vater Hirnbiss: „Iss lieber!“

Mutter Hirnbiss: „Ganz recht, dass was wird aus dir!“

Vater Hirnbiss (energisch): „Nun iss mal tüchtig!“

Mutter Hirnbiss: „Da hat er ganz recht, Sieglinde-Dorothee!“

Vater Hirnbiss rülpst. „Du musst doch mal ein bisschen Figur kriegen. Hier, kuckt dir mal deine Mutter an!“ Zeigt auf ihre Oberweite.

Tochter Hirnbiss: „Also, jetzt ist mir der Appetit ganz vergangen!“

Ganz normale Dialoge am deutschen Essenstisch

„Tochter, zieh dir mal den kompletten Schweinsbraten rein, damit du auch so Prachteuter wie deine Mutter kriegst.“ Klar, dass das hier lustig-überspitzt gemeint ist, aber – echt jetzt?

Die Familie Springbock hat indes andere Essgewohnheiten. Die Frau ist eine geborene von Papen, wie sie regelmäßig betont, und natürlich essen sie vegetarisch zu klassischer Musik. Natürlich, haha, leidet der Mann darunter, immer nur Gras zu fressen und geht heimlich im Restaurant deftig essen, hohohohihihi. Da lacht der Karl-Heinz, während er im Kino herzhaft in eine reingeschmuggelte Bockwurst beißt.

Ein paar Kleinigkeiten stechen etwas aus der Masse heraus. Einmal sehen wir hier einer der eher seltenen Ausflüge von Hans Korte (1929-2016) ins leichte Komödienfach, ich habe ihn ohne Brille und Bart erst auf den zweiten Blick erkannt. Sonst war er eher im ernsten Fach oder in Krimis zuhause, nicht zuletzt in 7 Folgen „Derrick“, eine davon wurde hier schon behandelt.

Fleischerei-Innungsmeister Hirnbiss (Hans Korte) nebst Gattin (Monika John)

Zudem war es die letzte Kinoarbeit von „Hubsi“, Hubert von Meyerinck, (1896-1971) zu dem ich hier ja auch schon einiges geschrieben habe. Er hat eine kleine Rolle als Notar. Er erkrankte noch während der Produktion, in der Nachbearbeitung musste er daher von Paul Bürks synchronisiert werden, da sich sein Dialog noch geändert hatte. (Kleiner Tipp zwischendurch: Wer mehr zu einzelnen Personen wissen will – am Ende jedes Textes sind in der Einzelansicht alle genannten getaggt, durch einen Klick kann man dann alle Filme mit jeweiliger Beteiligung filtern.)

Fritz Wepper sieht hier exakt genau so aus wie im wohl zur gleichen Zeit entstandenen „Wir hau’n die Pauker in die Pfanne“ (Premiere 8. Juli 1970). Heute eher als Harry Klein aus „Derrick“ bekannt oder durch den Seriendauerbrenner „Um Himmels Willen“ (2002-2021), ist er hier noch relativ am Anfang seiner Karriere zu bewundern, er spielte von 1955 bis 1972 in einigen Kinofilmen mit, filmhistorisch am nachhaltigsten wohl noch ganz jung im legendären Antikriegsfilm „Die Brücke“ (1959) von Bernhard Wicki.

Die erstgenannte Hauptdarstellerin Uschi Glas lässt ziemlich lange auf sich warten. Sie war damals sehr angesagt und gefühlt alle 14 Tage mit einem neuen Film im Kino. Auch sie war schon mehrfach Gast hier, und sicherlich zwangsläufig nicht zum letzten Mal. Sie spielt hier Gaby Bergmann, die als Nachhilfelehrerin für Stefan, dem älteren Sohn von Frau Stenhoff, der sich in sie verknallt.

Am meisten Screentime hat Tausendsassa Georg Thomalla (1915-1999), ebenfalls einer der ganz fleißigen Schauspieler der Zeit. Generell mag ich ihn, er kann durchaus lustig sein. Hier ist er überdreht bis nervig und spielt alles auf 120 Prozent, was über die Spielzeit doch mehr anstrengend als erheiternd ist.

Georg Thomalla, Uschi Glas

Thomas „Tommi“ Ohrner (*1965) hatten wir hingegen noch nicht, er ist heute eher als Moderator bekannt, hier sehen wir ihn als naseweisen Jungen namens Bübchen, gerade mal 5 Jahre alt in einem seiner ersten Kinoauftritten. Nach einer Karriere als Kinderdarsteller 1979 sollte er als „Timm Thaler“ im gleichnamigen Mehrteiler Fernsehgeschichte schreiben, bis heute ist er in Funk und Fernsehen aktiv.

Der kleine Tommi Ohrner

Wolfgang Jansen (1938-1988), hier als „Hans Wurst“ zu sehen, spielte in der Zeit öfter kleinere Rollen in Filmen, auch der erotischen Art, so Knaller wie „Frau Wirtin treibt es jetzt noch toller“ oder „Was Schulmädchen verschweigen„. Er war von den 50ern bis in die 80er gut im Geschäft. Privat hatte er ein hartes Schicksal. Er verlor früh seine Eltern, und auch sein Lebensende war unerfreulich: 1983 wurde seine langjährige Ehe geschieden, kurz darauf starb seine neue Lebensgefährtin bei einem Unfall. Bei einem Zugunglück verlor er dann 1985 das rechte Bein, drei Jahre später starb er verarmt mit nur 49 Jahren.

Uschi, mach die Bluse auf, der Fritze kommt im Dauerlauf. Und hat echte Coca Cola dabei.

Geschrieben hat dieses dünne Geschichtchen der Österreicher August Rieger (1914-1984), der von den 50ern bis in die 70er hinein einiges an Drehbüchern verfasste. Tatsächlich ist er uns auch schon mal begegnet, sowohl die rheinländische Fremdschamorgie „Zwei Rebläuse auf dem Weg zur Loreley“ als auch der ähnlich unlustige „Immer Ärger mit den Paukern“ (ebenfalls mit Thomalla und Glas) gehen auf sein Konto. Wie ich dort schon schrieb: „Seine Filmographie ist reines Trash-Gold, wie ich gerade feststelle, der wird sicherlich nicht zum letzten Mal unsere Wege durch die tiefen Täler des deutschen Filmschaffens kreuzen.“ Quod erat demonstrandum.

Gags von der Witzeseite vom Goldenen Blatt 1962, schlecht getimter Slapstick und deutsche Ultra-Spießigkeit sind die Hauptzutaten dieses erschreckend unlustigen Lustspiels. Selbst für hartgesottene Humorforscher schwer am Stück zu ertragen, gibt es hier und da halbwegs solide Standards des Slapstick, die aber alle schon tausendmal gemacht wurden, nur halt in besser. Für alle Beteiligten kein Ruhmesblatt, aber hartgesottene Uschi-Glas-Fans oder nostalgische Fans der „guten alten Zeit“ kaufen die DVD wohl trotzdem.

Derrick: Tote Vögel singen nicht (D 1976)

Regie: Alfred Vohrer

Buch: Herbert Reinecker

Premiere: 24. April 1976 (ZDF)

Alfred Vohrer (c) Deutsches Film-Institut

„Alfred Vohrer is a genius!“

Quentin Tarantino, 2003

Alfred Vohrer (1914-1986) hat in den letzten Jahren etwas mehr Aufmerksamkeit als einer der wichtigsten Regisseure im deutschen Nachkriegskino bekommen. Das ist sehr schön, und sicherlich auch ein Stück weit dem guten Herrn Tarantino zu verdanken, der die Deutschland-Premiere von „Kill Bill Vol. 1“ ihm widmete und Vohrer auch in Interviews als Genie und Einfluss lobte.

Vohrer war immer mehr ein Regisseur der Unterhaltung, im Gegensatz zu dem oft etwas verquasten oder abgehobenen „Neuen Deutschen Film“. Verfilmungen von Edgar Wallace, Karl May und Johannes Mario Simmel sind Eckpfeifer seiner umfangreichen Filmographie. Schon eher im Herbst seiner Karriere inszenierte Vohrer auch insgesamt 28 Folgen der Reihe „Derrick“. Diese Folge hier blieb mir als ein echtes Highlight in Erinnerung und daher möchte ich sie etwas in den Fokus rücken. Auch wenn es „nur“ Arbeiten fürs Fernsehen sind, gibt es hier einige Preziosen zu entdecken. Also, Vorhang auf für Derrick Folge 19, gesendet am 4. April 1976: „Tote Vögel singen nicht“.

Noch vor dem Vorspann finden wir eine rothaarige junge Leiche in einem Koffer auf der Müllhalde mit entstellenden Säurespuren im Gesicht (Leiche #1). Derrick und Harry sind sichtlich schockiert über ihren neuen Fall.

Derweil empfängt der Unterweltboss Ewald Malenke (Hans Korte) seinen Anwalt. Es gibt Arbeit: Eine Anzeige. In seinem Fotostudio, dem „Mona Lisa Club“, soll eine 14-Jährige arbeiten. Dort drehen sich mehr oder weniger nackte Damen auf Podesten, und sabbernde „Provinz-Onkels“ (so seine Einschätzung der Kundschaft) knipsen die nackte Haut, bis der Rollfilm glüht.

Also fährt Malenke mit seinem schnieken Rolls-Royce mit Autotelefon dorthin, um das zu klären und dem zuständigen Mitarbeiter einen Satz heiße Ohren zu verpassen. Doch: Die entsprechende junge Dame ist schon rausgeschmissen.

Ein älterer, verzweifelt wirkender Herr sitzt bei Derrick im Büro. Er möchte eine Vermisstenmeldung aufgeben – seine Tochter ist verschwunden. Es stellt sich heraus: Es ist die rothaarige Uschi im Koffer. In der Wohnung der Uschi gibt es gleich mal eine zünftige Schießerei, und der Strolch macht sich auf einem Motorrad davon. Stellt sich raus – der Knabe arbeitet in der „Mona Lisa Bar“. Derrick beschließt spontan, dort mal „einen Kaffee zu trinken“. Harry: „Ich kenn den Laden. Das sind meistens Nutten. Oder solche, die es werden wollen.“ Harry knows his shit.

In einem Hinterzimmer finden sie den geflohenen Strolch – tot (Leiche #2). Ein Mord im Moorbad (Leiche #3) führt endgültig zu einem Strudel aus Erpressung und Mord. Leichen 4 und 5 folgen.

Meine Güte, da hat das Dreamteam Herbert Reinecker und Alfred Vohrer aber einen rausgehauen. Empörte Zuschauerpost – quasi ein analoger Shitstorm – führte nach der Erstausstrahlung (20:15 Uhr) dazu, dass die Folge lange Zeit im ZDF-Giftschrank verschwand.

Fünf Leichen, von Säure entstellte Gesichter, zwielichtige Erotikbars mit notgeilen Herren, nackte Männer im Moorbad, das war alles zu viel für den typischen ZDF-Krimi-Kucker anno 1976. Em-pör-end! Das Abendland war mal wieder in Gefahr.

Derrick ist hier ironisch, schlagfertig, zynisch, auf Krawall gebürstet – einer der Ganoven, der ihn „Scheiß-Bullen“ schimpft, schickt er gar mit einem Kinnhaken auf den Boden. „Wenn Sie einen Zeugen brauchen, stehe ich zur Verfügung.“ Als hätte Reinecker in der Zeit viel Raymond Chandler gelesen.

„Dann gebe ich Ihnen einen guten Rat, Bubi: Setzen Sie nicht einen Fuß auf die Straße, ich verhafte Sie sofort!“

Dirty Derrick

Hans Korte (1929-2016) mit seiner einzigartigen Stimme ist als feister Unterwelt-Strippenzieher auch ein guter Antagonist und wie immer eine Bereicherung jedes Films. Sein markantes Organ dürfte auch vielen Hörbuch-Fans bekannt sein, er hat in seinen letzten Jahren viel für diesen Markt gearbeitet und z. B. Werke von Bernhard Schlink, Friedrich Dürrenmatt, Patrick Süskind oder Heinrich Mann eingelesen.

Vohrer inszeniert das gekonnt mit immer wieder hübschen Ideen, man merkt einfach, dass da ein Könner am Werk war. Beispielhaft sei eine kleine Hommage an Hitchcock erwähnt – in einer Szene sieht man Derrick nur als Schatten an der Wand, der sich mit einem Handlanger von Malenke unterhält, bevor er ins Bild tritt. Darauf muss man auch erst mal kommen. Oder die Mordszene im Moorbad, so viel optische Kreativität. Manches erinnert durchaus an italienische Gialli.

Eine wirklich herausragende Folge. Kucken! Das sage nicht ich, sondern Tarantino. 😉