Derrick: Tote Vögel singen nicht (D 1976)

Regie: Alfred Vohrer

Buch: Herbert Reinecker

Premiere: 24. April 1976 (ZDF)

Alfred Vohrer (c) Deutsches Film-Institut

„Alfred Vohrer is a genius!“

Quentin Tarantino, 2003

Alfred Vohrer (1914-1986) hat in den letzten Jahren etwas mehr Aufmerksamkeit als einer der wichtigsten Regisseure im deutschen Nachkriegskino bekommen. Das ist sehr schön, und sicherlich auch ein Stück weit dem guten Herrn Tarantino zu verdanken, der die Deutschland-Premiere von „Kill Bill Vol. 1“ ihm widmete und Vohrer auch in Interviews als Genie und Einfluss lobte.

Vohrer war immer mehr ein Regisseur der Unterhaltung, im Gegensatz zu dem oft etwas verquasten oder abgehobenen „Neuen Deutschen Film“. Verfilmungen von Edgar Wallace, Karl May und Johannes Mario Simmel sind Eckpfeifer seiner umfangreichen Filmographie. Schon eher im Herbst seiner Karriere inszenierte Vohrer auch insgesamt 28 Folgen der Reihe „Derrick“. Diese Folge hier blieb mir als ein echtes Highlight in Erinnerung und daher möchte ich sie etwas in den Fokus rücken. Auch wenn es „nur“ Arbeiten fürs Fernsehen sind, gibt es hier einige Preziosen zu entdecken. Also, Vorhang auf für Derrick Folge 19, gesendet am 4. April 1976: „Tote Vögel singen nicht“.

Noch vor dem Vorspann finden wir eine rothaarige junge Leiche in einem Koffer auf der Müllhalde mit entstellenden Säurespuren im Gesicht (Leiche #1). Derrick und Harry sind sichtlich schockiert über ihren neuen Fall.

Derweil empfängt der Unterweltboss Ewald Malenke (Hans Korte) seinen Anwalt. Es gibt Arbeit: Eine Anzeige. In seinem Fotostudio, dem „Mona Lisa Club“, soll eine 14-Jährige arbeiten. Dort drehen sich mehr oder weniger nackte Damen auf Podesten, und sabbernde „Provinz-Onkels“ (so seine Einschätzung der Kundschaft) knipsen die nackte Haut, bis der Rollfilm glüht.

Also fährt Malenke mit seinem schnieken Rolls-Royce mit Autotelefon dorthin, um das zu klären und dem zuständigen Mitarbeiter einen Satz heiße Ohren zu verpassen. Doch: Die entsprechende junge Dame ist schon rausgeschmissen.

Ein älterer, verzweifelt wirkender Herr sitzt bei Derrick im Büro. Er möchte eine Vermisstenmeldung aufgeben – seine Tochter ist verschwunden. Es stellt sich heraus: Es ist die rothaarige Uschi im Koffer. In der Wohnung der Uschi gibt es gleich mal eine zünftige Schießerei, und der Strolch macht sich auf einem Motorrad davon. Stellt sich raus – der Knabe arbeitet in der „Mona Lisa Bar“. Derrick beschließt spontan, dort mal „einen Kaffee zu trinken“. Harry: „Ich kenn den Laden. Das sind meistens Nutten. Oder solche, die es werden wollen.“ Harry knows his shit.

In einem Hinterzimmer finden sie den geflohenen Strolch – tot (Leiche #2). Ein Mord im Moorbad (Leiche #3) führt endgültig zu einem Strudel aus Erpressung und Mord. Leichen 4 und 5 folgen.

Meine Güte, da hat das Dreamteam Herbert Reinecker und Alfred Vohrer aber einen rausgehauen. Empörte Zuschauerpost – quasi ein analoger Shitstorm – führte nach der Erstausstrahlung (20:15 Uhr) dazu, dass die Folge lange Zeit im ZDF-Giftschrank verschwand.

Fünf Leichen, von Säure entstellte Gesichter, zwielichtige Erotikbars mit notgeilen Herren, nackte Männer im Moorbad, das war alles zu viel für den typischen ZDF-Krimi-Kucker anno 1976. Em-pör-end! Das Abendland war mal wieder in Gefahr.

Derrick ist hier ironisch, schlagfertig, zynisch, auf Krawall gebürstet – einer der Ganoven, der ihn „Scheiß-Bullen“ schimpft, schickt er gar mit einem Kinnhaken auf den Boden. „Wenn Sie einen Zeugen brauchen, stehe ich zur Verfügung.“ Als hätte Reinecker in der Zeit viel Raymond Chandler gelesen.

„Dann gebe ich Ihnen einen guten Rat, Bubi: Setzen Sie nicht einen Fuß auf die Straße, ich verhafte Sie sofort!“

Dirty Derrick

Hans Korte (1929-2016) mit seiner einzigartigen Stimme ist als feister Unterwelt-Strippenzieher auch ein guter Antagonist und wie immer eine Bereicherung jedes Films. Sein markantes Organ dürfte auch vielen Hörbuch-Fans bekannt sein, er hat in seinen letzten Jahren viel für diesen Markt gearbeitet und z. B. Werke von Bernhard Schlink, Friedrich Dürrenmatt, Patrick Süskind oder Heinrich Mann eingelesen.

Vohrer inszeniert das gekonnt mit immer wieder hübschen Ideen, man merkt einfach, dass da ein Könner am Werk war. Beispielhaft sei eine kleine Hommage an Hitchcock erwähnt – in einer Szene sieht man Derrick nur als Schatten an der Wand, der sich mit einem Handlanger von Malenke unterhält, bevor er ins Bild tritt. Darauf muss man auch erst mal kommen. Oder die Mordszene im Moorbad, so viel optische Kreativität. Manches erinnert durchaus an italienische Gialli.

Eine wirklich herausragende Folge. Kucken! Das sage nicht ich, sondern Tarantino. 😉