Derrick: Zeichen der Gewalt (D 1975)

Regie: Theodor Grädler
Buch: Herbert Reinecker
Produktion: ZDF/ORF, Helmut Ringelmann
Erstsendung: 04.05.1975, ZDF

Ein Anwalt bekommt einen Anruf. Verbrecher sind in sein Haus eingedrungen, er wird erpresst, als Anwalt einem Gefangenen eine Pistole in den Knast zu schmuggeln, sonst wird seine Frau ermordet, die sie als Geißel halten. Notgedrungen folgt er den Einweisungen, er nimmt jedoch die Patronen raus. Jedoch – er hat eine vergessen, die im Lauf. Ein Gefängniswärter wird auf der Flucht erschossen. Derrick ermittelt. Der Anwalt begeht aus Gram Suizid. Der Oberstrolch ist auf der Flucht und bereitet der Polizei einiges Kopfzerbrechen. Er ist gut bewaffnet und echter Psycho. Voller Körpereinsatz ist gefragt.

Derrick zu seinen Kollegen: „Ihr solltet auf keinen Fall vergessen, dass der Mann sofort schießt – ohne Zögern schießt!“

Die 8. Folge der noch jungen Serie „Derrick“, ausgestrahlt im Mai 1975, ist in gewisser Hinsicht ein Novum. Von Anfang an gibt es hier Sex & Crime, man könnte im Kontext fast von einem „Action-Feuerwerk“ sprechen. Noch dazu gibt es im Cast einige interessante Leute, alles Grund genug, um hier dazu ein paar Worte zu verlieren.

Im letzten Akt geht es hier ganz schön rund. Zu funky Rockmusik mit Fuzz-Gitarre gibt es wilde Schießereien und Verfolgungsjagden. Ist jetzt kein John Wick, natürlich.

Tatsächlich hat sich Horst Tappert hier bei einem kleinen Stunt den Fuß verletzt, danach war es vorbei mit „mach ich eben“.

Über den Dächern von Nizza, äh, München

Herausstechend ist hier sicherlich Raimund Harmstorf (1939-1993) in seinem ersten Derrick-Auftritt (von dreien). Er spielt hier einen eiskalten Killer, er ist der Strolch Hausmann, der aus dem Gefängnis freigepresst worden ist. Er spielt hier den gewissenlosen, von keinerlei Moral eingeschränkten Gangster wirklich großartig.

Raimund Harmstorf als Oberstrolch Günter Hausmann

Heute wahrscheinlich am ehesten als Gegenspieler aus diversen Bud-Spencer-Schinken in Erinnerung („Sie nannten ihn Mücke“), spielte er damals des Öfteren solche zwielichtigen Gestalten (z. B. in dem Actionknaller Blutiger Freitag (1972), den ich hier auch mal würdigen müsste).

Die damals hauptsächlich in Erotikfilmchen stattfindende Sybil Danning (* 1947) ist hier als die Ehefrau von Harmstorf zu sehen – kurios: beide haben sich schon mal in dem schon besprochenen Siegfried-Fummelfilm bereits kennengelernt. Vielleicht wurde sie auf Empfehlung von Harmstorf gecastet, wer weiß das schon. Es war auch ihre einzige Derrick-„Erscheinung“.

Tatsächlich war sie wohl auch drehbuchgemäß als „Macht sich gerne naggisch“ gecastet, denn ihre Figur arbeitet in einem Nachtlokal und ab Minute 18 sehen wir dann erst mal einen Strip von ihr. Grundsätzlich gibt es hier aus heutiger Sicht überraschend viel nackte Haut zu sehen. Immer dran, denken, wir sprechen von einer Abendserie im eher spießigen ZDF.

Sybil Danning lässt die Hüllen fallen

Tatsächlich treffen wir auch noch einen alten Bekannten auf dieser Seite – der bekanntlich von mir sehr geschätzte Rudolf Schündler (1906-1988) ist hier in einer kleineren Rolle zu sehen, als Kellner im besagten Nachtlokal, der sich vor Schiss fast einnässt, als Derrick ihn verhört. Während er in seiner kleinen Küche sitzt und seine Briefmarkensammlung sortiert – auch ein Bild, das man heute nicht mehr so sieht.

Gaby Dohm (* 1943) könnte vom Namen her eher Fragezeichen hervorrufen, aber das Gesicht sehr bekannt – auch sie ist bis heute aus dem deutschen Serienschaffen nicht wegzudenken. Sie ist hier noch eher am Anfang der Karriere, ihre bekannteste Rolle sollte erst 1985 in der Schwarzwaldklinik kommen. Sie spielt hier die Ehefrau des erpressten Anwalts, sie hilft dann bei den Ermittlungen. Sie soll die Stimmen ihrer Geißelnehmer auf dem Tonband wiedererkennen.

Viele tolle Schauspieler, bis zum Ende spannend, nette Actionszenen – da soll noch mal jemand sagen, Derrick sei langweilig. Dieses Klischee kommt eher aus den späten Jahren und den vielen Parodien. Die ersten Jahre bieten einige echte Knallerfolgen.

Die Serie gibt es als DVD-Boxen, seit einiger Zeit aber auch in guter Qualität und legal vom ZDF lizenziert auf dem YouTube-Kanal „KultKrimi“. Hier wird man fündig.

Charley’s Onkel (D 1969)

Regie: Werner Jacobs

Buch: Kurt Nachmann

Produzent: Allianz Film Produktion GmbH, Berlin (Heinz Willeg),
Terra Filmkunst

Premiere: 18. April 1969

Ein Film wie ein Fiebertraum. Ein weiterer Baustein in meiner selbst gesteckten Challenge, alle Filme mit Beteiligung von Heinz Erhardt zu sichten, und das ist wohl das skurrilste Machwerk, in dem er je auftauchte. Er hat hier auch nur eine kleine Rolle, mehr ein Cameo. Aber was für ein Cast! Wer hätte beispielsweise gedacht, dass es wirklich einen Film gibt, in dem Heinz Erhardt und Karl fucking Dall mitwirken? Mindblowing. Leider sind sie nie in einer Szene, das hätte wohl einen Riss in der Humor-Matrix gegeben.

Hier wird allerlei aufgefahren an großen Namen des damaligen Komödienschaffens. Regisseur Werner Jacobs ist ein alter Haudegen im Gerne und kurbelte allerlei lustig gemeintes und sollte ein paar Jahre später noch drei der vier „Willi“-Filme mit Erhardt drehen. Autor Kurt Nachmann ist uns hier auch schon des Öfteren über den Weg gelaufen, später dazu mehr.

Was den Film etwas besonders macht – hier treffen Opas Pantoffelkino und 68er Anarcho-Humor aufeinander. Der Clou an dem Film ist „Insterburg & Co“, die Band um Ingo Insterburg, zu der eben auch Karl Dall gehörte. Ein Running-Gag ist, dass Insterburg sich konstant über alles „Scheiß-Bürgerliche“ echauffiert.

Sonst kommt hier echt eine beeindruckende Kollektion von deutschen Spaßnasen zusammen, viele alte Bekannte des Genres. Von den alten Haudegen wie Hubert von Meyerinck und Willy Millowitsch bis hin zur damals aktuellen Generation wie Gila von Weitershausen (die nominelle Hauptrolle) und besagte Insterburg & Co.

Willy Millowitsch und Heinz Erhardt

Quasi der Avengers des deutschen Lustspiels. Gustav Knuth in einer Doppelrolle! Erna Sellmer, die sich auch noch als Mann verkleidet! Gunther Philipp! Edith Hancke! Ralf Wolter! Hans Terofal! Herbert Weißbach! Ja, sogar der von mir bekanntlich sehr geschätzte Rudolf Schündler! Viele nur in kurzen Gastauftritten, aber dennoch schon beeindruckend. Sogar der spätere Komödien- und Exploitation-Regisseur Rolf Olsen hat einen Auftritt (ja, der mit den Satansmädchen). Das damalige Sexsternchen Andrea Rau zieht mal blank und als Sahnehäubchen auf diese Torte des Kartoffel-Wahnsinns schaut noch mal ein junger Karel Gott vorbei, in „seinem ersten deutschen Spielfilm“, wie der Trailer stolz verkündet.

Gila von Weitershausen, Hans Terofal

Als wäre das alles nicht schon bizarr genug: Wir schreiben das Jahr 1969. Erfolgreiche Filme müssen Brüste haben. Und wir haben hier allerlei Nuditäten zu bewundern, es geht um käufliche Liebe. Willy Millowitsch lüstern wie Nachbars Lumpi eine (vermeintliche) Nutte jagen zu sehen hat schon etwas von einem Fiebertraum nach einer Überdosis seltsamer Filme und Eierlikör. Aber: Ja, dieser Film existiert.

Nebenbei: Wer auf nackte Tatsachen von Gila von Weitershausen hofft, dürfte eher enttäuscht werden, es gibt eine Umkleideszene von hinten, wenn man blinzelt, verpasst man es. In „Der Bettenstudent“, wo sie ja auch mitwirkte, kann ich mich zumindest an keine Nackedei-Szene erinnern. Sie in der Zeit in vielen seltsamen Filmen der frühen Sex-Welle mitgewirkt, mal sehen, was uns in „Engelchen macht weiter – hoppe, hoppe Reiter“ oder „Köpfchen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh„, beite auch von 1969, so für Abenteuer erwarten, sofern ich die in die Finger kriege. Abenteuer deutsches Nachkriegskino.

Willy Millowitsch will Gila von Weitershausen an die Wäsche
„Mensch, sei doch nicht so scheiß-bürgerlich!“
Ingo Insterburg und Loni Heuser

Ein Nachteil des extrem großen Casts ist, dass die Handlung für so ne olle Klamotte echt kompliziert ist. Dauert denkt man – Moment, wer war das noch, warum macht er/sie dies oder das, was sind die Beziehungen? Man lese die grotesk lange Inhaltsangabe auf Wikipedia. Alle Nase lang werden Leute verwechselt und Pläne geschmiedet. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier um die Gastauftritte „drumrum“ geschrieben wurde, neben der üblichen Verwechslungs-Blaupause.

Die Grundprämisse ist schon recht abstrus – Carla Werner, genannt Charley, ist Fahrlehrerin. Jung und hübsch, wird ihr vom Fahrschüler (Hans Terofal, of all people) ans Knie gefasst. Sie hat es satt und kündigt, nachdem ihr Chef (Hubsi) kein Verständnis für ihre Pein hat. Ihre Freundin Lilo ist Prostituierte, diese reist für 3 Wochen in Urlaub. Sie übernimmt ihre Wohnung und schließlich auch ihren Job. Ihr erster Freier ist – Rudolf Schündler. Der prompt den Hintern versohlt bekommen will. Alter. You can’t make that shit up.

Gila von Weitershausen, Rudolf Schündler

„Hey, ich kündige meinen Job, weil ich von Hans Terofal ans Knie gefasst werde, und arbeite dann als Callgirl!“ Ich mein: Hä?

„Ich bin’s, der Karel! Ich singe jetzt mal komplett unmotiviert zwei Songs, um den Film auf 90 Minuten zu kriegen!“

Wie bereits erwähnt taucht auch Karel Gott auf, dessen zwei Songs man absitzen muss. Lustigerweise wird er, sobald er spricht, synchronisiert, wenn mich mein Ohr nicht täuscht von Gerd Duwner. Komplett sinnfreie Szene für einen Scheck von der Plattenfirma.

Nach geschlagenen 50 Minuten kommt dann der Auftritt von Heinz Erhardt als Vertreter für eine Art Raumerfrischer. Erhardt macht das beste aus dem Material, rettet den Film aber auch nicht in den paar Minuten.

Ein weiterer dieser deutschen Filme der Zeit, die man gesehen haben muss, um sie zu glauben. Immer wieder gibt es Szenen, bei denen ich mich fragte: Welche Drogen haben die sich damals reingepfiffen, um auf so was zu kommen? Auf jeden Fall durchaus interessant, wie Kurt Nachmann hier versucht, auch „die jungen Leute“, sprich: damalige Studierende, anzusprechen durch Sponti-Sprüche und Frivolitäten. Das ist schon ziemlich weit entfernt von spießigen Fleischbeschaufilmchen wie z. B. die Werke von Franz Antel – die ja kurioserweise oft auch von Nachmann geschrieben wurden, beispielsweise „Frau Wirtin bläst auch gern Trompete“. Fun fact: Nachmann hat 1969 alleine 10 (!), in Worten: zehn, Drehbücher geschrieben.

Auch wenn das schon a different kind of animal ist wie die Frau-Wirtin-Filme, merkt man durchaus, dass das Weltbild genauso altbacken und reaktionär ist wie sonst, denn die von Ingo Insterburg darstellte Figur als „Klischee-68er“ ist an Lächerlichkeit kaum zu überbieten. Wenn er da in einer gemusterten 70er-Jahre-Unnerbüchs rumturnt ist das schon harte Fremdscham.

Nicht ganz so haarsträubend durchgeknallt wie „Der Bettelstudent“, aber schon ein ziemliches Brett. Hat aber mehr Brüste, Autostunts (!) und Heinz Erhardt auf der Habenseite. Immerhin.

Was man allerdings nicht erwarten darf: Einen „Heinz-Erhardt-Film“, auch wenn er groß auf dem Cover ist. Sowohl bei der alten Videoauswertung in den 80ern als auch auf der neuen DVD von Filmjuwelen, die das Originalmotiv übernommen haben. Das grenzt schon an irreführende Werbung.

Die Kompanie der Knallköppe (D 1971)

Regie und Buch: Rolf Olsen

Produktion: Karl Spiehs / Lisa Film

Premiere: 3. Dezember 1971

Uff. Immer wenn ich denke, ich habe den Bodensatz der allseits beliebten deutschen Komödie erreicht, kommt etwas um Eck wie dieser Film und belehrt mich eines besseren.

Auch den gibt es aktuell im Stream bei Prime, wo er mir von der allmächtigen Algorithmus-Gottheit auch prompt ans cinephile Herz gelegt wurde. Ein Blick in den Cast machte mich neugierig. Obwohl es eine Produktion der – natürlich – Lisa Film GmbH ist, sind hier doch einige Schauspieler*innen am Start, die man primär aus der Lümmel aus der ersten Bank-Reihe der „Konkurrenz“ Seitz Filmproduktion kennt. Zudem hat Regisseur Rolf Olsen nur ein Jahr zuvor den durchaus unterhaltsamen Heinz-Erhardt-Film „Das kann doch unseren Willi nicht erschüttern“ (auch hier schon besprochen) gedreht, den ich im Großen und Ganzen ganz gerne mag. Ruth Stephan und Hans Terofal sind hier auch wieder dabei. Rolf Olsen – genau, treue Leser*innen dieser Seite kennen ihn auch schon als Regisseur des unglaublichen Trash-Exploitationfestes „Ekstase – Der Prozeß gegen die Satansmädchen„.

Naja – wie der Titel vermuten lässt, handelt es sich hierbei um eine der damals relativ trendigen Militärklamotten, wie es sie in der Zeit zuhauf gab, oft auch aus Italien. Wer auf bairisch babbelnde Scherzbolde in Uniform steht, wird hier viel erbauliches Anschauungsmaterial finden. „Die Parole heißt Lachen!“, sagt das Filmplakat. Dann muss es ja auch stimmen.

Direkt im Vorspann dürfen wir schon Rudolf Schündler mit angeklebtem Kinnbart und mit einer Art Rennfahrer-Overall bekleidet als „verrückten Erfinder“ bewundern, der sein Labor in die Luft fliegen lässt und sich dann freut, dass er mit seiner Erfindung, ein Dutzend Luftballons, auch fliegen kann. Zu allem Übel ist er auch noch schlecht nachsynchronisiert. So ungefähr legt das schon mal das Niveau des Films fest. Der arme Mann, immerhin hat er Filme mit Fritz Lang und Dario Argento gemacht und muss hier nun den Suppenkasper mimen und kriegt noch eine fremde Stimme aufgedrückt. Dagegen war die Rolle des Studienrat Knörz direkt Shakespeare.

Ein anderer Handlungsstrang dreht sich um das Duo aus Eddi Arent und Ilja Richter, die als Staubsaugervertreter lustige Abenteuer erleben und Sprüche reißen, die selbst Fips Asmussen als zu platt abgelehnt hätte. Eddi Arent kann durchaus witzig sein (seine Sidekick-Einlagen in den Edgar-Wallace-Filmen sind legendär), er bekommt hier halt nichts vom dürftigen Drehbuch geboten. Ilja Richter ist schrill, zappelig und nervig wie immer und lustig wie ne Eiterbeule bei Mondenschein. Hansi Kraus alias „Pepe Nietnagel“ hat auch eine kleine Rolle ohne besondere Vorkommnisse. Und Kurt Nachmann, der uns hier auch als Drehbuchautor schon mehrfach begegnet ist (er hat viel mit Franz Antel gemacht), darf auch seinen Backenbart mal wieder Gassi führen.

Natürlich gibt es eine Verwechslung – besagter Erfinder soll ein neues Rettungssystem erfinden, den Automatischen Rettungs-SCHirm – abgekürzt A.R.SCH (ja, im Ernst). Das hat alles noch nicht so ganz geklappt. Daher bricht das große Zittern aus, als eine Besichtigung durch hochrangige Militärs angekündigt wird. Natürlich werden die beiden Vertreter für diese gehalten. Echt, super lustig. So was hat man noch nicht gesehen!

Hans Terofal ist zwar hier auch „trottelig“, muss sich aber zumindest nicht dauernd besaufen, sondern darf einen schnittigen Bundeswehr-Fummel auftragen und auch mal mit dem Jeep durchs bayerische Dorf kacheln. Mal was anderes. Er hat hier überhaupt eine ungewohnt große Rolle und darf auch mal schauspielerisch was anderes zeigen als den Depp vom Dienst, der von allen verachtet und gequält wird. Er ist hier durchaus ein Lichtblick. In einem Paralleluniversum hätte er vielleicht so etwas wie der neue Karl Valentin werden können.

Ein kleines Highlight ist eine Szene, in der Terofal den auf dem Bauch liegenden Gunter Philip mit heruntergezogener Hose verarztet. Dieser hat eine Ladung Schrot in den Allerwertesten bekommen, und Terofal entfernt die zahlreichen Kugeln mit einem riesigen Magneten, was so absurd-cartoonhaft ist, dass ich mir zumindest ein amüsiertes Schmunzeln nicht verkneifen konnte. Tatsächlich das einzige im ganzen Film. Eine Szene wie aus einem Tex-Avery-Cartoon. (Leider lässt Prime keine Screenshots zu, daher müsst ihr euch dieses Bild leider vorstellen.)

Der ganze Kappes ist damals erstmals von VPS auf Video ausgewertet worden. Es gibt auch eine DVD von einem Ramschlabel. Aber ganz im Ernst, selbst als Freund der Zeit und Komödienfan – erspart es euch. Das grenzt an Körperverletzung.

Das fröhliche Dorf (D 1955)

auch: Krach um Jolanthe

Regie: Rudolf Schündler
Buch: Gustav Kampendonk
Produktion: Kurt Ulrich
Premiere: 16. September 1955

Oha, da bin ich aber wieder tief in den obskuren Filmarchiven der heilen Kinowelt der bundesdeutschen 50er Jahre unterwegs. Dieser etwas unscheinbare, halb verschollene Film hat allerdings einige Besonderheiten, die ihn filmhistorisch interessant machen. Da man auch online kaum Infos findet, opfere ich mich mal.

Zunächst – Regie: Rudolf Schündler. DER Rudolf Schündler? Ja, genau.

Heute noch am ehesten als Oberstudienrat Knörz aus den Lümmel-Filmen der 70er bekannt, hatte der Mann eine unfassbar bunte Karriere quer durch die deutsche Filmgeschichte, von Fritz Lang über Hans Billian bis Heinz Erhardt. In den 50ern führte er auch mehrfach Regie bei leichter Muse wie hier. Das war bereits seine fünfte Regiearbeit. Von insgesamt 19. Neunzehn! Die 50er Jahre waren sehr produktiv im deutschen Kino. Man darf nicht vergessen – Kino war damals viel alltäglicher, die wenigsten Leute hatten zuhause einen eigenen Fernseher. Es wurden daher viel mehr Kinofilme „auf Masse“ produziert als heute.

Ein weiterer Fakt, der diesen Film etwas besonders macht: Es ist der erste deutsche Cinemascope-Farbfilm, sagt der Filmdienst. 1953, also zwei Jahre vorher, war mit „The Robe“ (Das Gewand) in den USA der erste Film in Cinemascope überhaupt erschienen.

Bauer Lamken (Carl Hinrichs) hat die tollste Sau von allen

CinemaScope war ein wichtiger Schritt hin zum heute selbstverständlichen „Breitbildformat“. Durch spezielle Linsen in der Projektion war es möglich, Filme im Seitenverhältnis von etwa 1:2.35 auf normalen 35-mm-Film zu bannen.

Leider konnte man den Film wohl so nur im Kino damals bewundern. Er ist nie fürs Heimkino erschienen, nicht mal auf VHS. Mir liegt eine Fernsehausstrahlung von SAT1 vor, die leider auf 4:3 zusammengeschrumpft wurde.

Neben diesen technisch-historischen Sachen wurde ich auch neugierig, denn der Film basiert auf einem Theaterstück von August Hinrichs (1879-1956), dessen Geburtshaus keine 300 Meter von hier, wo ich gerade sitze, entfernt ist. Geboren in Oldenburg, ist er als Autor von Theaterstücken, meist humoristischer und eher volkstümlicher Art, bekannt, und die August-Hinrichs-Bühne in Oldenburg trägt heute seinen Namen.

In den zwanziger und dreißiger Jahren war er einer der meistgespielten Bühnenautoren. Seine Stücke waren in ganz Deutschland erfolgreich, und auch mehrere Verfilmungen entstanden bereits. So ist dieser Film von 1955 eigentlich ein Remake des Films von 1934 unter der Regie von Carl Froelich.

Die Geschichte geht auf das Stück „Krach um Jolanthe“ zurück, was auch ein Alternativtitel des Films (und der Titel der 1934-Version) ist. Auch als Theateraufführung wurde es mehrfach gefilmt, z. B. vom Hamburger Ohnsorg-Theater (1962 und 1979 noch mal).

Das Stück ist wohl so bekannt, dass es in Cloppenburg eine Skulptur (Foto von Wikipedia) dazu gibt. OK, wieder was gelernt.

Kuckuck auf der Wutz

Worum geht es überhaupt? Irgendwo im Oldenburgischen anno lange-her: Bauer Lamken (Carl Hinrichs) ist stolz wie Oskar, denn auf der Landwirtschaftsausstellung hat seine Sau Jolanthe den ersten Preis gewonnen. Das war damals sogar ein Foto auf der Titelseite der Zeitung wert.

Doch, oh weh, wieder zuhause in Pusemuckeldorf (das wohl fiktive Ringelstede) droht Unheil. Er hat seine Steuern nicht bezahlt, und der Gerichtsvollzieher pfändet einfach seine Prachtsau und pappt ihr einen Kuckuck auf den Schinken.

Schließlich soll sie versteigert werden, doch niemand bietet. Der Gendarm ermittelt, Verdacht auf Komplott und so. Auch der nette neue Dorflehrer, der gerade im Dorf angekommen ist, gerät in Verdacht, doch er hat damit nichts zu tun, er ist nur für die obligatorische love story im Film verantwortlich.

Die ersten Szenen im Film, diese Viehzeugparade, wurden offensichtlich in München gedreht, dort fand 1955 die 43. Wanderausstellung der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) statt:

München – establishing shot – könnte der Stachus (Karlsplatz) sein

Ebenfalls dokumentieren möchte ich dieses wunderbare Stück Lyrik, gesungen von der Magd Stine. Ein echter Ohrwurm.

„Jolanthe, Jolanthe,
du dickes Borstenvieh
hast meine Sympathie
Jolanthe, Jolanthe,
du hast mit deinem Speck
die Ruhe weg!“

Apropos Magd – diese hat auch eine Szene, die so bizarr ist, dass ist sie hier mal als Ausschnitt einfüge. Tatsächlich für 1955 schon recht gewagt!

Im Cast stach mir Carl Hinrichs (1907–1967) ist Auge. Auch er ist in Oldenburg geboren und hier auch 1967 gestorben. Er war in den 50er und 60er öfter mal in augenscheinlich kleineren Rollen in Kino und TV zu sehen. Laut alt-oldenburg.de war er der Bruder von August. Seine Eltern und später dann er führten in der Haarenstraße in der Oldenburger Innenstadt eine Weinhandlung. Das Gebäude (Foto) wurde 1956 abgerissen, dort ist heute das Modehaus ZARA zu finden.

Gerhard Riedmann (1925–2004), der den jungen forschen Lehrer spielt, war noch bis in die 90er regelmäßig zu sehen, zuletzt in 25 Folgen vom ZDF-„Bergdoktor“. In den 50er war er noch in allerlei Heimat-, Berg- und Schlagerfilmchen zu sehen und grinste und sang sich in die Herzen der Damen. Der grobe Blick zeigt auch, dass eigentlich fast alle der Beteiligten nach dem großen Knick in den 60ern, als Heimatfilme langsam ausstarben, ihre Karriere mitsterben sahen.

Was bleibt? Biedere Heile-Welt-Unterhaltung, und selbst da gibt es sicherlich besseres. Filmisch solide abgekurbelt, bleibt er halt doch ein Theaterstück von 1930, und so frisch wirkt das dann auch. Das war selbst 1955 schon old-school.

Das Lokalkolorit ist ganz nett, wenn man hier wohnt, und zumindest weiß ich jetzt, was diese Skulptur in Cloppenburg soll. Man lernt nie aus! Ist auch einfach mal schön, dass so ein Film mal nicht in Österreich, Tirol, Schwarzwald oder Bayern spielt, sondern in der norddeutschen Tiefebene. Ansonsten nur für Fans von Bauernkomödien (gibt es die überhaupt noch?). Oder wer Filme mit ganz vielen Schweinen mag. Oink!

Der qualitativ ganz brauchbare TV-VHS-Mitschnitt (SAT1, ich würde frühe 00er Jahre schätzen) findet sich im Netz.

Carl Hinrichs, Gerhard Riedmann