Wackersdorf (D 2018)

Regie: Oliver Haffner
Buch: Gernot Krää, Oliver Haffner
Produktion: Ingo Fliess für if… Productions,  Bayerische Rundfunk, Arte
Premiere: 29. Juni 2018

Mitte der 1980er. Die kleine Gemeinde Wackersdorf in der Oberpfalz (Bayern) ist eine „strukturschwache Region“, die Bevölkerung wird von Arbeitslosigkeit und deren Folgen belastet. Da kommt die bayrische Landesregierung auf den Landrat zu – 3000 neue Arbeitsplätze werden nahegelegt. Es soll eine Wiederaufbereitungsanlage für Atommüll gebaut werden. Es regt sich Widerstand. Der Landrat leiht sich Bücher zum Thema in der Unibibliothek aus und wird nach und nach immer mehr zum Widerstandskämpfer gegen die Münchner Landesregierung. Als 1986 noch Tschernobyl passiert, eskaliert die Situation.

Inhaltlich wird hier einiges aufgefahren. Es ist auch ein Kampf eines SPD-Landrats gegen harten CSU-Klüngel unter Franz Josef Strauß. Wahrlich hartes Brot zu kauen. Sogar vor einer Gesetzesänderung wird nicht zurückgeschreckt im „System Strauß“. Gruselig. Und ja, basierend auf wahren Ereignissen. Dass es in der Bundesrepublik Deutschland in den Achtzigern möglich war, dass hunderte CS-Gas-Granaten (!) vom Polizei-Hubschrauber (!) aus gegen überwiegend friedliche Demonstrierende eingesetzt wird, ist schwer zu glauben. In Bayern geht das. Eine unglaubliche Eskalation auf beiden Seiten. Hier ist alles schön dokumentiert.

„Trotzdem wollen alle die Kernenergie. Warum? Es geht um Geld. Viel Geld.“

Es gelingt gut, die Atmosphäre der frühen 80er zu erzeugen, ohne es zu übertreiben und in eine Art plakativen „Museums-Look“ abzudriften, das viel zu oft passiert, wenn übereifrige Setdesigner am Werk sind.

Regisseur Oliver Haffner arbeitet mehr am Theater als im Film. Könnte ein Grund sein, weil die schauspielerischen Leistungen doch über dem Durchschnitt deutschen Förderungskinos liegt. Nichtsdestotrotz ist es auch filmisch und kein abgefilmtes Theater. Inszenatorisch bekommt man natürlich kein abgefahrenes Avantgarde-Kino, handwerklich aber sauber und im Sinne der Geschichte erzählt. Tatsächlich ist der Film über weite Strecken fast ein Kammerspiel, hier kommen die guten Schauspieler*innen sowie die Theatererfahrung des Regisseurs gut zum tragen.

Der Film hat heute im Jahr 2022 vielleicht sogar mehr Relevanz als 2018, als er in die Kinos kam. Gerade die Diskussion pro und contra Atomkraft hat aktuell viel mehr Schwung als damals, und wie die bayrische Staatsgewalt schon 1981 mit friedlichen Demonstrat*innen, sorry: „Störenfriede, Chaoten und Spinner“ in CSU-Sprech, umgeht, hat heute ein Echo in dem Umgang mit „Fridays for Future“ oder aktuell der „Letzten Generation“. Der Film war seiner Zeit ein wenig voraus. Und ja, auch 1981, ohne Facebook und Co, kann man Drohungen und Hatespeech von Nazis bekommen, noch oldschool auf Papier per Post.

Etwas unglücklich finde ich, dass dokumentarische Originalszenen eingestreut wurden. So was ist immer bisschen lahm und ruft „Sorry, dafür reichte das Budget nicht“, und reißt einem als „Fremdkörper“ etwas aus der Geschichte.

Ein unaufgeregter, aber tiefsinniger Film über Demokratie, über Moral und Macht und alles dazwischen. Sehenswertes Stück Zeitgeschichte!