Regie: Theodor Grädler
Buch: Herbert Reinecker
Premiere: 29. Juni 1975 (ZDF)
Der beschwipste Teenie Anneliese (Ingrid Steeger) fährt nächtens durch den Wald mit ihrem Fahrrad nach Hause. Der Fernsehtechniker „Onkel Hoffmann“ (Klaus Löwitsch), der Nachbar, kommt mit dem Auto des Weges, erkennt sie, erkennt ihre Lage und bietet ihr an, sie mitsamt Fahrrad via Auto sicher zu Hause abzuliefern.
Vorher war sie einmal gestürzt und ist daher schmutzig. Prompt beschließen sie, es wäre gut, wenn sie sich vorher noch waschen täte, um blöde Fragen zu vermeiden. Schwupps steht die Anneliese im Schlüppi am Weiher, Onkel Hoffmann trocknet ihr die Füßchen ab, sie sagt „Du bist lieb, Onkel Hoffmann“, sie umarmen sich, „mir ist so schwindelig“ … Abblende.
Anneliese ist seriously pissed und will nicht mehr ins Auto einsteigen. „Sie Dreckskerl! Sie Schwein!“ wirft sie ihm wütend von dannen stampfend an den Kopf, und will nach Hause laufen. „Du hast es doch darauf angelegt, lass doch den Quatsch! Hab ich dir deine Hose ausgezogen? Soweit kommt es noch!“
Sie will alles ihrem Vater erzählen, Hoffmann saust die Muffe. Anneliese will einen sich nähernden Wagen anhalten, um dort mitzufahren, Hoffmann zerrt sie ins Gebüsch und hält ihr den Mund zu. Bis der andere Autofahrer weiterfährt, dauert es einen Moment, und er merkt nicht, dass er Anneliese gerade erstickt hat.
Am nächsten Morgen wird Annelieses Leiche auf dem Müllplatz gefunden. Das Katz-und-Maus-Spiel beginnt.
Gut, dieser Beitrag ist ein wenig gemogelt, denn es handelt sich mitnichten um einen Spielfilm, sondern um eine Folge der langlebigen Krimireihe „Derrick“. Da wir ja gerade Ingrid Steeger im Film „Liebe in drei Dimensionen“ angesichtig wurden, musste ich an diese Folge denken. Wie eigentlich jede Folge der Reihe funktioniert diese auch super für sich stehend. Es handelt sich um Folge 10, also noch recht am Anfang.
Derrick meets Schulmädchenreport, könnte man fast denken bei der oben geschilderten Eingangsszene. Ingrid Steeger war hier zwar schon 28 Jahre jung, wurde aber dennoch als offenkundig minderjährige Nachbarstochter besetzt, was sicherlich der Einschaltquote nicht schadete, schließlich war sie 1975 wohl auf dem Gipfel ihres Ruhms. Immerhin gewann sie im gleichen Jahr erstmals den Bravo Otto, quasi den deutschen Backfisch-Oscar, in Bronze für den „beliebtesten TV-Star“.
Auf jeden Fall gehört diese Folge zu einer meiner Lieblingsfolgen von Derrick. Der große Charakterdarsteller Klaus Löwitsch (1936-2002) spielt fantastisch als Vergewaltiger und Mörder „aus Versehen“, dessen Nerven im Laufe der 60 Minuten immer mehr strapaziert werden. Denn nicht nur Derrick und Harry hat er auf den Fersen, auch Frau und Sohn fangen langsam an, lästige Fragen zu stellen. Teilweise erinnert mich sein Spiel hier an Jack Nicholson.
Derrick: „Er war’s.“
Harry: „Er war es nur, wenn wir es ihm nachweisen können.“
„Der Mistkerl war’s. Er ist vollkommen fertig.“
„Das wird sich legen. Die meisten gewöhnen sich schließlich an ihre Tat. Das wird auch er tun.“
„Man muss dafür sorgen, dass er an seiner eigenen Aufregung … er darf mit dem Zittern gar nicht mehr nachkommen.“
Generell haben wir hier ein wunderbares psychologisches Duell zwischen Derrick und Hoffmann, denn handfeste Beweise gibt es nicht, und Derrick muss am Ende zu einem pfiffigen Psychotrick zurückgreifen, um ihn schließlich zu überführen. Was alles etwas anders endet als geplant.

Wer Derrick aus den späten Jahren kennt, wird sich sicherlich wundern: Hier hat er eine richtige Actionfilm-Stunt-Einlage. Herbert Reinecker (1914-2007), der Autor aller 281 Derrick-Folgen, war gerade in den ersten Jahren „on fire“ und hat ein Kompendium des Genres „Krimi“ erschaffen. Alles dabei an Motiven, Tathergängen, Verwicklungen – einmal alles durchdekliniert. Mal Action, mal intensives Kammerspiel. Der Mann konnte was. Für mich ist das immer noch der „Goldstandard“, was Fernsehkrimis angeht. Das heutige Derrick-Klischee beruht eher auf den späten Folgen, die mitunter etwas arg verlabert und hüftsteif waren, mit ewigen Monologen und viel Pseudophilosophie – und natürlich auf den vielen Parodien dazu.
Hier dauert es auch geschlagene 18 Minuten, bis Derrick und Harry ins Spiel kommen. „Müllplatz! Eine Tote als Abfall. Mhm. Fein, fein, ist es“, sind seine ersten, resignierten Worte, er hadert mal wieder mit seinem Beruf. Gleich muss er dem Vater seine tote, vergewaltigte und als Abfall entsorgte Tochter zur Identifizierung zeigen.
Neben Löwitsch und Steeger kann sich der Rest des Casts auch sehen lassen. Judy Winter (* 1944) spielt Frau Hoffmann, der Sohn wird gewohnt etwas schräg von Pierre Franckh (* 1953) gemimt (mit einem sehr albernen Schnorres). Letzterer wird noch oft in der Reihe mitspielen, oft als Mörder. Hier gibt er sein Debüt. Judy Winter kennen Hörspielfreunde vielleicht als die zwielichtige Psychotherapeutin „Dr. Franklin“ bei den Drei Fragezeichen.
Bruno Hübner (1899-1983), der schrullige Schrotthändler, der um ein Haar Zeuge der Leichenbeseitigung wird, ist auch ein recht vertrautes Gesicht aus Film und Fernsehen, der klassische, etwas skurrile Nebenrollen-Charakterdarsteller. Er wirkte in der Zeit oft in TV-Krimis mit, ein langes Leben voller Theater und Film hinter sich. In Kriegszeiten war er am Deutschen Theater in Berlin engagiert, und: „Als 1944 Bomben auf das Dach des Deutschen Theaters fielen, rettete Hübner, der Brandwache hatte, unter Einsatz seines Lebens das Haus vor größerem Schaden.“ (Wikipedia)
Erst bei der Recherche fiel mir auf, dass die andere Tochter der Nachbarn von Doris Arden (* 1946) gespielt wird, die – ebenfalls viel zu alt für ihre Rolle hier – auch in Teutonen-Sexpoilation-Filmen wie „Graf Porno bläst zum Zapfenstreich“ und „Krankenschwestern-Report“ zu Ruhm und Ehre kam. Im „Krankenschwestern-Report“ (1972) spielte auch Steeger mit, die werden sich wohl von da gekannt haben.
Fast schwer zu glauben, dass dies eine Folge ist, die Theodor Grädler inszeniert hat. Der ist oft für die etwas schlafmützigeren Folgen zuständig. 1921 geboren, wird er offiziell noch als „lebend“ geführt, wobei sein Verbleib seit 1995 unklar ist. Es gibt wohl Gerüchte, er sei bereits 2005 in Italien verstorben, was aber nicht offiziell bestätigt werden konnte. Interessant, was es so alles für wilde Geschichten drumherum gibt. (28 Folgen wurden vom legendären Alfred Vohrer gedreht, darunter „Tote Vögel singen nicht“, eine Folge, die nach der Erstausstrahlung wegen zu viel Gewalt (!) und zu vielen Leichen erst mal im ZDF-Giftschrank verschwand und lange nicht wiederholt wurde.)
Wer was für gute Psycho-Krimis übrig hat – vergesst die Derrick-Klischees und schaut mal rein. 60 Minuten feinste Krimikost, toll geschrieben, toll gespielt, keine Sekunde langweilig. Klassiker!
Sehr viele Folgen gibt es inzwischen legal und in guter Qualität auf YouTube, auf dem Kanal „KultKrimi“, der die Lizenz vom ZDF erworben hat. Klasse! Natürlich erst, nachdem ich mir für teuer Geld die DVD-Boxen angeschafft habe. War so klar 🙂
Für die Polyglotten unter euch: Die italienische Fassung gibt es auch auf YouTube – „Mi ha sempre chiamato zio Hoffmann„. Und die französische: „La Tentation“ Lustig. „Die Versuchung“ wäre eigentlich auch ein schöner Titel gewesen. „Hoffmanns Höllenfahrt“ klingt irgendwie doch sehr nach einem TKKG-Hörspiel.