1-2-3 Corona (D 1948)

Regie: Hans Müller
Buch: Artur Kuhnert
Produktion: DEFA
Premiere: 17. September 1948

Was, 1948 gab es schon einen Film über Corona?

Ja, nein, natürlich nicht. Corona (lat. Kranz, Krone) ist hier ein weiblicher Vorname. Natürlich dennoch kurios, diesen Film mit der neuen Bedeutung heute zu sichten.

Was haben wir hier? Der Film ist eine frühe DEFA-Produktion, also in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), der späteren DDR, entstanden. Und wie Wikipedia zu vermelden weiß – der erste Film, der nach dem Krieg wieder in Babelsberg entstand. History in the making.

Er wird dem etwas schwammigen Genre „Trümmerfilm“ zugerechnet, was – platt gesagt – das Kino der direkten Nachkriegszeit ist, das in dem spielt, was Nazi-Irrsinn und Weltkrieg von Deutschland übrig gelassen hatten. Meist sind das naturgemäß eher düstere und ernste Stoffe, die in dieser harten Zeit der Schuld, Verlust und Entbehrung entstanden, insofern stellt dieser Film eine Ausnahme dar: Die Jugend spielt die Hauptrolle, und bei aller Dramatik in der Grundstory gibt es auch viel Humor und jugendliche Lebensfreude.

Origineller Vorspann: Das Fritzchen (Ralph Siewert) stellt alle Beteiligten vor, die als Text erscheinen, teils mit launigen Kommentaren zu den Dreharbeiten. Anschließend dürfen sich einige der jugendlichen Darsteller selbst kurz vorstellen. Schöne Idee. Da die Titel in Sütterlin gehalten sind, ist das auch ganz praktisch für den heutigen Zuschauer. Die 1911 entwickelte Sütterlin-Schrift wurde 1941 von den Nazis verboten, insofern könnte man die Verwendung hier durchaus als politisches Statement verstehen.

„Die Schulen blieben bis auf weiteres geschlossen“

Berlin, Sommer 1945. Das Leben ist hart und anstrengend in den Trümmern Berlins. Ein gut gekleideter Mann (Herbert Hübner) geht durch die Straßen, versucht, eine Zigarette zu schnorren, doch alle winken ab. Bis einer ihm knapp mit einer Geste zeigt, wo es was zu holen gibt. Der Schwarzmarkt. In einem alten Bauwagen mitten in den Ruinen.

Die Jungs sammeln Zigarettenstummel, die sie bei einer Frau Schmittchen (Annemarie Hase) gegen „echte“ Zigaretten eintauschen können, und bezahlen damit auch die Miete für den Bauwagen. Aus den Stummeln kann man sogenannten „Stummeltabak“ machen. Das tauscht sie dann nach eigener Aussage – „Stummeltabak gegen Zigaretten, Zigaretten gegen Seife, Seife gegen Fett oder was man sonst so braucht“. Das könne man ja nicht Schwarzhandel nennen!

Der Mann stellt sich als Studienrat heraus, der überrascht ist, dort einen seiner ehemaligen Schüler der 5. Klasse (!) zu treffen, der dort mit Zigaretten dealt. Gleichzeitig ist er peinlich berührt, möchte er doch schwarz Zigaretten kaufen.

„Es muss heute jeder sehen, wie er durchkommt. Ich habe heute das erste Mal … schwarz gekauft.“

Sprach er und drückte dem Jungen einen Geldschein in die Hand, nachdem er einen tiefen Zug an der lang ersehnten Zigarette genommen hat.

Die fesche Corona (Eva Ingeborg Scholz)

„Wo bleibt denn die Corona, dieses Luder?“ schallt es. Corona (Eva Ingeborg Scholz) ist eine hübsche junge Artistin, die mit einem etwas runtergerockten Wanderzirkus in der Stadt ist. Die Jungs werden Zeuge, wie schlecht der Direktor Corona behandelt und wollen diesem eine Lektion erteilen, indem sie seine Vorstellung sabotieren. Ein paar gezielte Schüsse mit der Steinschleuder erfüllen den Zweck.

Doch – Corona fällt nach einem weiteren Schuss vom Trapez in die Tiefe, ohne Netz. Sie ist bewusstlos und schwer verletzt. Ein Junge rennt los und versucht, einen Krankenhausplatz für sie zu bekommen und wird nur vertröstet, er möge in 6 bis 8 Wochen (!) noch mal fragen. Also pflegen die Jungs sie gesund, teils aus schlechtem Gewissen, teils aus echter Fürsorge. Die Jungs nutzen die Zeit, ihre Zirkus-Skills zu üben, sonst ist eh nicht viel zu tun. Als Corona dann wieder gesund ist und nicht weiß, wohin, gründen sie kurzentschlossen den „Zirkus Corona“. Wird das eine Zukunft haben?

Dialog zwischen einem Arzt und einem Studienrat, während sie durch eine zerbombte Straße gehen:

„Aber Herr Doktor, Sie beabsichtigen doch nicht im Ernst, das Mädchen hier bei den Jungs zu lassen?“

„Ja! Warum nicht?“

„Das ist doch ganz unmöglich!“

„Unmöglich ist heute vieles. Am unmöglichsten, ein Bett im Krankenhaus zu finden.“

„Na, dann werde ich das mal versuchen. Diese Kinder hier zusammen, so ganz ohne Aufsicht, das kann doch nicht gut gehen.“

„Sagen Sie mal, Herr Doktor, unterschätzen Sie die heutige Jugend?“

„Wissen Sie, wie demoralisiert sie ist?“

„Dagegen ist eine verantwortungsvolle Aufgabe das beste Heilmittel.“

„Wir Alten haben es maximal verkackt, vertrauen wir der Jugend“, könnte man zusammenfassen. Einen Irren gewählt, die Welt in Brand gesteckt – es kann nur besser werden. Unsere Hoffnung muss in der Jugend liegen. Das scheint mir die Kernaussage des Films, die zeitlos aktuell ist.

Hans Müller, der Regisseur, kam mir irgendwie bekannt vor, auch wenn das der kartoffeligste Allerweltsname der Welt ist. Und siehe da: 1959 drehte er mit Heinz Erhardt den von mir sehr geschätzten „Drillinge an Bord“, was dann auch seine letzte Kinoarbeit war.

Ihm gelingen hier viele stimmungsvolle Bilder und pfiffige Inszenierungsideen. Gewisse Parallelen zum Italienischen Neorealismus der Zeit lässt sich nicht leugnen, z. B. „Deutschland im Jahre Null“ (Germania anno zero) von Roberto Rossellini, der ebenfalls 1947/1948 im zerbombten Berlin entstand.

Auch wenn mich des Thema Zirkus nicht unbedingt direkt anmacht, war das eine interessante Filmerfahrung. Gerade weil der Film es schafft, bei aller Tristesse und Hoffnungslosigkeit dieser Zeit eine positive, optimistische Botschaft zu vermitteln. Es geht immer weiter.

Die vielen jungen Darstellerinnen und Darsteller spielen überwiegend richtig gut, besser als so mancher überbezahlter Hollywood-Mime. Viele blieben Eintagsfliegen, ein paar Ausnahmen:

Eva Ingeborg Scholz (1928-2022) machte nach einer ganzen Reihe von Kinofilmen in den 50ern durchaus noch Karriere im deutschen Fernsehen und war bis zuletzt immer wieder auf der Mattscheibe zu sehen. Natürlich auch in 2 Folgen von – na klar – „Derrick“. Das wird langsam zum running gag. Am 21.03.2022 ist sie mit 94 Jahren verstorben.

Lutz Moik (1930–2002), der hier den Gerhard spielt, hat auch noch etwas mehr gemacht. Eine seiner letzten Rollen war tatsächlich im RTL-Dauerbrenner „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ anno 1992. Selbst zum kurzlebigen Tatort-Kommissar hat er es geschafft, zwei HR-Produktionen in den frühen 80ern (Kommissar Bergmann in Frankfurt). Neben vielen kleinen Rollen in unbekannten Serien wirkte er auch in einem echten Serienklassiker mit – er ist der Makler in der Folge „Hausverkauf“ von „Ein Herz und eine Seele„. Von seinen Spielfilmen hat der mir unbekannte „Das kalte Herz“ von Paul Verhoeven (nicht der mit Robocop, der andere) wohl das meiste Echo.

Herbert Hübner (1889–1972), der Studienrat Dr. Hanke, ist noch einer der bekannteren Darsteller hier, der von 1920 bis 1967 in unzähligen deutschen Kino- und TV-Produktionen auftauchte und auch am Theater überaus erfolgreich war. Auch wenn er in Kriegszeiten in etwas unappetitlichen Filmwerken mitwirkte, arbeitete er für die DEFA und später auch fürs bundesdeutsche Kino und TV.

Den Film gibt es offiziell und legal auf dem YouTube-Kanal der DEFA zu sehen. Der ist sowieso sehr empfehlenswert, dort gibt es viele Schätze aus dem Archiv zu entdecken, alles legal und in meist guter Qualität von der DEFA-Stiftung bereitgestellt.