Regie: Thomas Engel
Buch: Irina Korschunow
Premiere: 1978
Das Filmlabel Pidax hat mal wieder tief im Archiv gegraben und dabei diesen schönen kleinen TV-Film gefunden. Am 06.09.1978 war in der ARD Premiere.
„Der Führerschein oder: Der Spießer und seine Frau“, wie der Filmtitel komplett heißt, spielt in der Zeit der Entstehung und man ahnt schon anhand des Titels, worum es geht. Die Emanzipation liegt in der Luft, und plötzlich beginnen Frauen, Bedürfnisse und Wünsche zu äußern. Ach du lieber Gott!
Autorin Irina Korschunow (1925-2013), Tochter einer Deutschen und eines Russen, machte sich in den 70ern und 80ern primär mit Kinder- und Jugendbüchern einen Namen, am bekanntesten dürften heute noch die Bücher über die „Wawuschels“ sein, die es in vielen verschiedenen Auflagen gibt und die einem doch öfter mal auf dem Flohmarkt begegnen.
„Der Führerschein“ ist ihr erstes verfilmtes Drehbuch von insgesamt fünf.
Familie Riehl hat sich gerade das berühmte „Eigene Häuschen im Grünen“, irgendwo im Neubaugebiet, gebaut und lebt nun nach vielen Jahren in Frankfurt auf dem Land. Der Opel steht blitzeblank in der Garage, die durchfallbraun-orange-geflieste Küche ist frisch geputzt, und die Familie – Vater, Mutter, zwei Kinder – sitzt frohgemut am Abendbrottisch. Die reine Idylle. Und dann kommt auch noch Post – eine Tante will ihnen 1000 Doitsche Mark schenken.
Was tun mit dem Geld? Jeder hat eigene Ideen und Wünsche, aber Vati hat schon was beschlossen. Doch, potzblitz – Mutti ist genervt, mit Fahrrad und Zug einkaufen und leben zu müssen, und will den Führerschein machen. Und zündet damit eine innerfamiliäre Neutronenbombe – Vati Heinz besteht auf einem brauen Holzzaun ums Grundstück, damit ihm die Hunde der Nachbarschaft nicht in den Garten kacken. Mutti zieht’s durch und macht „heimlich“ den Führerschein, was natürlich zu allerlei Comedy und Drama führt. Hach, diese Frauen aber auch! Man ist ja seines Lebens nicht mehr sicher, wenn die immer mehr ans Steuer wollen! Der Untergang des Abendlandes ist nahe:
– Übrigens, ich hab mir überlegt …
– Was denn? Was? Was hast du dir überlegt?
– Ob ich …
– Ja, was hast du denn, Lotti?
– Ich wollte sagen … von diesem Geld wird nicht nach England gefahren, auch kein neues Rad, Berti …
– Ganz recht! Wir kaufen einen Zaun!
– Auch keinen Zaun. Das Geld hat Tante mir geschenkt, und das brauche ich für mich.
– Ja, aber der Zaun ist doch auch für dich! Der ist doch nötig. Die Leute denken ja, bei uns langt’s nicht mehr.
– Ich brauche keinen Zaun. Und die Leute sind mir schnuppe. […] Ich will nämlich … (bestimmt:) Ich will den Führerschein machen.
– (entgeistert:) Wie? Was?
– Den Führerschein machen!
– Eure Mutter spinnt!
– Ich spinne überhaupt nicht! Wieso denn?
[…]
– Auto fahren! Führerschein! Wo du nicht mal die Garage aufschließen kannst!
Später will Mutti in ihrem neu gewonnenen Übermut auch noch vormittags ein paar Stunden arbeiten gehen. Und die Tochter gibt auch noch Widerworte und will gar studieren! Die soll lieber Geld verdienen, später wird sie ja eh geheiratet. Was zu viel ist, ist zu viel, Spießer-Heinz kriegt einen roten Kopf und verbietet erst mal alles, was ihm nicht passt. Im Streit rauscht Mutti von dannen und übernachtet bei einer Freundin. Am nächsten Tag besteht sie dann die Fahrprüfung (natürlich beim zweiten Versuch zwecks Drama), und nach etwas Kommunikation ist dann auch alles wieder gut. Die ganze Familie fährt mit ihrem roten Opel in den Sonnenuntergang. Mutti am Steuer. Na, wenn das mal gut geht!
Harmlos-nette Unterhaltung für Zwischendurch, bei der man so ziemlich genau das bekommt, was man sich vorstellt. Schauspielerisch solide, mit genug Humor (freiwillig und unfreiwillig), einer Prise Drama gegen Ende. Und aus heutiger Sicht eine sehr amüsante Reise in die Denke und das Leben anno 1978. Möbel, Kleidung, Autos – von „Ach du lieber Himmel!“ bis „Schickobello!“ ist alles dabei.
1980 entstand „Der Urlaub“ mit dem gleichen Team als Quasi-Fortsetzung, er muss also gut angekommen sein. Schauen wir doch noch, wen wir da gerade so gesehen haben:
Witta Pohl (1937–2011) dürfte unter den Schauspieler*innen wohl am bekanntesten sein. Als Mutter in „Diese Drombuschs“ (1983-1994) schrieb sie ein Stück TV-Geschichte mit und war auch sonst in vielen Fernseharbeiten zu sehen. (Aber nie bei „Derrick“, was ist da los? Dafür aber beim Tatort und in „Der Alte“.)
Klaus Herm (1925–2014), der den spießigen Ehemann Heinz spielt, ist auch ein recht gängiges Gesicht im deutschen Fernsehen der Zeit. Um die Scharte seiner Filmehefrau wett zu machen, spielte er gleich in 13 (!) Folgen von „Derrick“ mit. Zudem gehörte er zu den meistbeschäftigten Hörspielsprechern Deutschlands und ist in unzähligen Hörspielen von 1948-2014 (!) zu hören.
Die Darsteller der Kinder hatten nur kurze Gastspiele in der Fernsehwelt. In einer ganz kleinen Rolle ist Jochen Busse (* 1941) zu sehen, ich hab ihn mehr an der Stimme als am Aussehen erkannt, er hat sich gut mit einer 70er-Haarhelmfrisur und einem Pornobalken getarnt. Auch er spielte sich in den 70ern und 80ern in allerlei seltsamen Filmen seine Miete zusammen, bis er als Gastgeber in der RTL-Schenkelklopferparade „7 Tage, 7 Köpfe“ (1996–2005) noch mal einen Karriere-Boost bekam. Die auf ihn zugeschnittene RTL-Sitcom „Das Amt“ (1997-2003) habe ich als ganz unterhaltsam in Erinnerung. Ich finde, er ist so was wie der deutsche John Cleese. Ist oft durch Körpersprache schon lustig.
Regisseur Thomas Engel war hier schon ein alter Hase, mit Dutzenden Kino- und Fernseharbeiten auf dem Buckel. Große Inszenierungskunst darf man hier nicht erwarten, wir sprechen von einer TV-Komödie, aber das passt schon alles so.
Für Youngtimer-Fans und Auto-Nostalgiker ist das hier natürlich ein Fest. Von Fahrschule über Tankstelle bis Autohaus ist hier das „automobile Leben“ in den späten 70ern gut dokumentiert.

