Die Engel von St. Pauli (D 1969)

Regie: Jürgen Roland
Buch: Werner Jörg Lüddecke, Karl Heinz Zeitler
Produktion: Ernst Steinlechner / Studio Hamburg
Premiere: 24. Oktober 1969

Eine Weile, so um 1970 rum, waren in Deutschland die „St.-Pauli-Filme“ im Trend, waren sie doch auch immer eine willkommene Ausrede, ein bisschen nackte Haut zu zeigen, meist mit einer Kriminalhandlung umgeben. Meiner Kenntnis nach hat Jürgen Roland das mehr oder weniger erfunden, und das ist einer der ersten neben Rolf Olsen.

Die Handlung von „Die Engel von St. Pauli“ bemüht einen der klassischen Gangsterfilm-Plots: ein Gangkrieg zwischen Konkurrenten. Die alteingesessenen Luden und die neue Konkurrenz aus Wien kämpfen um die Vorherrschaft auf dem Kiez. Dabei gibt es natürlich ordentlich aufs Maul und das eine oder andere Unterweltsgewächs muss auch dran glauben. Besonders eindringlich einem Herrn mit dem schönen Spitznamen „Schwuli“, der zwecks Meuchelung vor eine einfahrende U-Bahn geschubst wird.

Weil das auf die Dauer etwas öde wird, gibt es noch einen Plot. Eine der neuen Damen am Kiez ist gehörlos, wird dann auch prompt „die taube Lisa“ getauft. Ein Freier bekommt den Lümmel nicht hoch, sagt als Ausrede im Ernst: „Hatte die Tage zu viel Hasch gehabt“ (!), und macht aus der tauben Lisa eine tote Lisa. Derweil läuft im Hintergrund die schlechteste Coverversion von „House Of The Rising Sun“, die sich der Film leisten konnte. Die Jagd nach dem „Dirnenmörder“ beginnt – beide Gangs und die Polizei sind hinter ihm her.

Die Geschichte ist fast Nebensache. Der Film besticht neben der soliden Kriminalgeschichte vor allem durch Lokalkolorit und natürlich aus heutiger Sicht mit hohem Nostalgiefaktor. Ein Blick in eine vergangene Welt.

Wer die Reeperbahn von heute kennt, bekommt quasi direkt am Anfang des Films schöne Totalen zum Vergleich, wie das alles 1969 aussah. (Auch wenn früher bekanntlich ja alles besser war: die Nachkriegsbetonklötze wird wohl kaum jemand vermissen.)

Das Panoptikum (ein Wachsfigurenkabinett mit langer Geschichte) wird auch erwähnt, was wohl das einzige Gebäude dort ist außer der Davidwache, das noch fast wie damals aussieht. Würde mich nicht wundern, wenn das Reklame-Neonlicht noch das selbe ist.

An Menschen zu beäugen gibt es Horst Frank als gewohnt zwielichtiger Unterweltsboss, Herbert Fux (1927-2007) (hat der eigentlich in der Zeit eigentlich irgendwo NICHT mitgespielt?) und viele andere bekannte Hamburger Gesichter. Gernot Endemann (1942-2020) z. B. als junger Gauner Blinky (wieso heißt der wie der Cousin von ALF?), dem in einer Szene zwischen zwei Autos gespannt die Hammelbeine lang gezogen werden zwecks Verhör. Nicht nett.

Der Dirnenmörder wird von einem gewissen Werner Pochath gegeben. Der Name sagte mir spontan nichts, auch wenn er mir irgendwie bekannt vorkam. Der Kollege war in den 70ern und 80ern in allerlei Genrekost zu bewundern, mit am bekanntesten dürfte er aber wohl (mit markanter blonder Haartracht) als bad guy im Bud-Spencer-Vehikel „Plattfuß in Afrika“ (Piedone l’africano, ITL 1978, Stefano „Steno“ Vanzina) sein.

Ach ja, falls euch Horst Franks Stimme irgendwie bekannt vorkommt – in den frühen Folgen der Drei Fragezeichen spricht er den Hauptkommissar Reynolds. Auch Gernot Endemann war in den EUROPA-Studios in Hamburg gern und oft gesehener Gast, wie sicherlich noch andere aus dem Film, die ich übersehen oder nicht erkannt habe. Kurioserweise wird er hier von Andreas von der Meden (1943-2017) nachsynchronisiert („Skinny Norris“ und „Morton, der Chauffeur“ bei den Fragezeichen, deutsche Stimme von David Hasselhoff und Kermit).

Ein paar besondere Szenen sind noch zu erwähnen. Ab Minute 73 sehen wir ein Tätowierstudio der ganz alten Schule, als Tätowierungen noch was für halbseidene Seeleute und grimmige Knastbrüder waren. Und ab Minute 86 befinden wir uns für das große Finale auf dem Hamburger Fischmarkt mit ein paar schönen Einstellungen, die das rege Treiben dort dokumentieren.

Lohnt sich der Film? Ein im klassischem Sinne „guter“ Film ist es wohl eher nicht. Fühlt sich etwas an wie eine überlange Krimi-Serie, das Budget war sicher auch nicht überwältigend. Jürgen Rolands Wurzeln lagen auch mehr im TV-Krimi, „Stahlnetz“ (1953-1961), „Dem Täter auf der Spur“ (1967-1973) und eine ganze Reihe „Tatort“-Episoden gehen auf sein Konto. Schon 1953 schrieb er mit „Der Polizeibericht meldet …“ Fernsehgeschichte. In der Sendung wurden dokumentarisch echte Fälle dargeboten, im Prinzip also das Konzept von „Aktenzeichen XY“ erfunden, das bis heute läuft. Das ganze basierte auf der amerikanische Serie „Dragnet“.

Die Schauspieler gehen größtenteils in Ordnung, aber der heimliche Hauptdarsteller ist sicherlich das Hamburg des Jahres 1969. Für Hamburg-Fans und Nostalgiker ein Festmahl!

Lange schwer zu bekommen (es gibt laut ofdb nicht mal eine VHS-Auswertung), gibt es ihn seit einigen Jahren auf DVD oder Blu-ray vom Label Subkultur, top restauriert, in verschiedenen Versionen für jeden Geldbeutel. Ich schaute ihn im Stream beim schon öfter erwähnten Channel „Alles Kino“, der sich auf deutsche Kinofilme spezialisiert hat und da auch einige Obskuritäten wie diesen Film zu bieten hat.

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